Marken und Moral

Von Moritz Schulz

 

Neben Corona und seinen Folgen gibt es auf dem diesjährigen Cannes Lions ein Thema, dem man in Talks und Keynotes, Preisträgerfilmen und Promomaterialien wieder und wieder begegnet.

Das Thema heißt „brand wokeness“, also frei übersetzt: Die Moralität von Marken.

Schon aus dem Promomaterial des Festivals blickt einem Colin Kaepernick nachdenklich entgegen. Das ist der NFL-Player, der sich als erster prominenter US-Sportler niederkniete, um gegen die dortige Polizeigewalt zu protestieren. Der Schuhhersteller Nike baute kurz darauf um ihn und seine moralische Unbeugsamkeit eine massive Werbekampagne auf, in der überdies die ethnische und sexuelle Diversität der USA gefeiert wurde und deren konzertierte Aktionen von riesigen Plakaten und Spots der Kampagne sogar einen Emmy einbrachte.

In zahlreichen Talks stößt man in diesem Jahr dann auf Beispiele wie die Marke Doritos, die sich mittels ihrer würzigen Chips für Frauenrechte stark macht und dazu auch die zahlreichen Statements ihrer Kund*innen an die Repräsentant*innen und Senator*innen in Washington weiterleitete.

Ob „Black lives matter“, LGBTQ-Rechte, die #Metoo Bewegung, Diversity, oder viele andere mehr – Wertekampagnen entstehen in den USA in rasender Geschwindigkeit. Und (fast) immer mit dabei sind (v.a. US-Amerikanische) Firmen, die ihre Marken mit diesen Bewegungen verknüpfen und den Diskurs mit eigenen Aktionen und Kampagnen prägen wollen. Dieser soziale bzw. politische Aktivismus ist dabei das zentrale Zeichen der Zeit amerikanischer Werbestrategien und eines der wesentlichen Markenzeichen des diesjährigen Cannes Lions.

Aus dieser Entwicklung ergeben sich natürlich zahlreiche Fragen auch für uns als BW Lions aus Baden-Württemberg. Zum Einen stellt sich die Frage, ob sich dieser Aktivismus auch auf Deutschland, bzw. aufs Ländle übertragen lässt? Und kann man damit auch hier relevante Demographien der Konsumgesellschaft erreichen? Sollte man moralische Anspruchshaltungen mit und für Gewinnmaximierung verknüpfen? Und würde es überhaupt zu deutschen Firmen passen, wenn sie sich eines Tages für Minderheitenrechte, den Schutz von Geflüchteten, o.ä. in öffentlichen Kampagnen stark machen würden? Die Grundsätzlichste aller Frage aber ist – passen Marken und Moral?

Da nahezu alle wirtschaftlichen Trends über kurz oder lang auch nach Deutschland kommen, sollten wir uns mit diesen Entwicklungen in der US-Werbung und Public Relations in jedem Fall auseinandersetzen und für uns und unsere Kund*innen über eine eigene Haltung zu dieser Entwicklung nachdenken.

Und egal wie unsere Haltung dabei ausfällt, wird entscheidend sein, dass solche inhaltlichen Positionen in der Werbung nicht einfach nur als Marketinggags genutzt werden, sondern -wenn überhaupt- die tagtäglichen, gelebten Positionen der repräsentierten Firmen widerspiegeln.

Und ein Nachdenken über den eigenen moralischen Kompass im Zusammenhang mit Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft würde uns in jedem Fall gut tun. Nicht nur Modemarken wie Nike sondern auch einer Vielzahl an deutschen Unternehmen – gerade im Ländle der Auto- und Maschinenbauer.