CÄNNES 2022

von Moritz Schreiner

Ich habe die große Ehre bereits zum zweiten Mal als BW-Lion in Cannes dabei zu sein. Diesem Festival der schönen, kreativen und wichtigen Menschen unserer komischen Branche. Dies erlaubt es mir, als einzigem Delegierten dieses Jahr, einen Vergleich zu ziehen, den ich gerne mit Euch teilen möchte. 

Vor genau fünf Jahren durfte ich das erste Mal unser schönes Baden-Württemberg bei den Cannes Lions vertreten. Damals mit einem eigenen Award, den wir verliehen haben. Dieses Mal als Vertreter aus THE LÄND. Fünf Jahre klingt nicht viel, aber die Welt hat sich in der Zeit gewaltig verändert. 

2017 vs 2022 

Als ich 2017 mit einem Rosé im Plastikbecher an der Croisette das hippe Werberleben genoss, kannte noch niemand Greta Thunberg und die Wirtschaft und Werbeindustrie suhlten sich in unermesslicher, genüsslicher Verschwendung. Ökologische Nachhaltigkeit war ein Fremdwort, das Spinnern und Phantasten zugeschrieben wurde, die samstags mit ihren Birkenstocks im Bio-Markt standen und Demeter-Käse aus dem Schwarzwald kauften.

Erst als im August 2018 Greta Thunberg mit ihrem Schulstreik für die Umwelt die weltweite Fridays-For-Future-Bewegung begann, wurde das Thema auf einmal interessant. Eine ganze Generation besetzte auf einmal ein Gebiet, das jahrzehntelang ein Nischendasein gefristet hatte. Menschen auf der ganzen Welt gingen auf die Straße und machten sich für eine nachhaltige Zukunft stark. Mensch… damit lässt sich doch sicher Profit erwirtschaften und aus Marken lassen sich „Lovebrands” generieren. Unsere Werbeindustrie erkannte schnell, dass man mit Nachhaltigkeit neue Kunden gewinnen kann und gleichzeitig noch was Gutes für den Planeten tut.

Nachhaltig bis 2030. Oder 2040.

Der VW-Dieselskandal war schnell wieder vergessen und Autos sind inzwischen nachhaltige Transportmittel geworden. Endlich eine glückliche Symbiose aus Kommerz, der nachhaltigen Popkultur der Generation Y und Z und den Hippies aus dem Bio-Laden! Toll. Und wer gerade nicht wirklich so schnell nachhaltig werden wollte, behauptete einfach, spätestens 2030 oder 2040 nachhaltig zu sein. Das sollte ja sicher auch reichen. Bis dahin fließt ja bekanntlich noch viel Wasser den Neckar runter.

Gerade erst so richtig in den nachhaltigen Drive gekommen, haben wir seit 2020 mit einer globalen Pandemie zu kämpfen die uns allen gezeigt hat, dass wir verwundbar sind, und dass es auch noch andere Arbeitsmodelle als „10-Stunden-Tage-im-stickigen-Office-hocken“ gibt. Auf einmal waren Zoom-Meetings möglich und jeder freute sich im Homeoffice nur noch ein schickes Oberteil anziehen zu müssen und untenrum die olle Jogginghose. Und ja, man kann im Homeoffice auch Kinder betreuen und parallel eine neue Kampagne entwickeln. Wir haben gelernt, dass Verantwortung für uns, und vor allem für die „Schwachen” in der Gesellschaft, ein wichtiges Gut ist. Die Fake News sind endlich aus Amerika zu uns gekommen und in Stuttgart hat sich eine quere Bewegung gegründet, die bald halb Deutschland erobern sollte. Das Wort „Querdenker“ wurde in Österreich übrigens zum Unwort des Jahres 2021 gekürt. 

Benzin wird teurer – oh no!

Jetzt haben wir seit Februar 2022 einen Krieg mitten in Europa. Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich ein weiteres Mal gewandelt. Das Benzin ist teurer, oh nein. Zum ersten Mal habe ich mir selber Gedanken machen müssen, was im schlimmsten Fall passieren kann, und wohin ich mit meiner Familie flüchten würde. Wir haben gelernt, dass Solidarität mit Geflüchteten was Tolles sein kann, was wir bei der Flüchtlingswelle aus Syrien noch nicht alle verstanden hatten. Ein Krieg direkt vor der Haustür ist dann vielleicht doch etwas bedrohlicher und macht das Thema greifbarer. 

Jetzt haben wir Ende Juni 2022. Der Krieg ist noch voll im Gange, ist aber etwas aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Man gewöhnt sich ja bekanntlich (schrecklicherweise) an alles. Und noch liegen fast 2.000 km zwischen Cannes und Mariupol. Die Pandemie ist überstanden, oder auch nicht. Egal. Kümmert sich gerade eh niemand mehr drum. 

Und Cannes Lions… ja… Cannes ist in den fünf Jahren sehr, sehr anders geworden. Ein Krieg ist auf einmal ein Thema und es gibt Vorträge von und mit geflüchteten UkrainerInnen. Präsident Selenskyj wird per Video ins große Kino im Palais geschaltet und es gibt (zumindest bei mir) viele emotionale Tränen. 

Greenpeace vs. die Oligarchen-Yachten

Cannes ist auf einmal nachhaltiger geworden und es gibt entsprechende Panels und Workshops. Auf einmal wollen alle die Werbewelt bis 2030 komplett nachhaltig machen. Warum eigentlich erst 2030? Irgendjemand hat entdeckt, dass man den Rosé am Strand auch aus echten Gläsern trinken kann und wahrscheinlich mussten leider hundert Hektar Wald gerodet werden, da auf einmal alles aus Holz und Bambus ist. Zwischen den schicken Oligarchen-Yachten liegt ein Segelboot von Greenpeace in der Bucht und erinnert uns beim täglichen Morgenschwimmen an die großen Aufgaben, die da noch kommen mögen. Ich sitze gerade trotzdem in einem auf 21 Grad herunter gekühlten Raum und trinke leckeres „Cannes-Lions-Wasser”, das man extra in TetraPaks gefüllt hat und aus Spanien ankarrt. Verrückte Welt.

Mein Ausblick:

Ich möchte zum Schluss noch eine Prognose für 2027 abgeben. Also noch mal fünf Jahre in die Zukunft blicken. Wenn der verrückte Russe Europa nicht komplett in Schutt und Asche gelegt hat, wird es vielleicht auch ein Festival of Creativity 2027 geben. Vielleicht hat das Palais dann auch erkannt, dass 25 Grad Innentemperatur auch okay sind. Es wird ganz sicher eine Maschine gegen den Klimawandel geben oder wir fangen an, endlich den Mars zu besiedeln. Aber das wird im Zweifel auch egal sein, da wir alle eigentlich nur noch im Metaverse leben wollen und bei Paris Hilton einkaufen (die hat uns nämlich alle sooo lieb, hat sie zumindest heute zu uns gesagt). 

Egal, ich freu mich auf jeden Fall drauf! 

Meine offizielle Bewerbung für die BW-Lions 2027 ist hiermit raus.