von Marco Ruckenbrod
Die Geschichte der französischen Küstenstadt Cannes – oder besser gesagt des ‚Cannes Lions International Festival of Creativity‘ – ist eine Geschichte der Löwen. Das weltberühmte Festival ging erstmals 1954 in der Lagunenstadt Venedig an den Start. Inspiriert von Venedigs Internationalen Filmfestspielen war es zunächst ein reines Werbefilmfestival. Die Stadt Venedig spielt für Cannes bis heute eine prägende Rolle. Denn die Statue des geflügelten Löwen auf der Piazza San Marco ist bis heute Sinnbild für die begehrten Trophäen, die seit 1984 jährlich in Cannes an der Côte d’Azur an die Créme de la Créme der internationalen Kreativszene verliehen werden. Als Werbefilmfestival geboren, war Cannes in seinen Anfangsjahren extrem fokussiert in seiner Ausrichtung. Der Screen Advertising World Association ging es seinerzeit um die Promotion des Werbefilms. Bei der Festivalpremiere wurden im Jahr 1954 insgesamt 187 Spots aus 14 Ländern eingereicht. Unterschieden wurde dabei lediglich nach Gattung: Kinofilm oder Fernsehspot. Es gab quasi zwei Kategorien. C’est tout.
Seither hat sich das Festival eindrucksvoll weiterentwickelt und über die Jahrzehnte zahlreiche neue Kategorien – neue Löwen – hinzuaddiert. Das Spektrum der ausgezeichneten Kreativarbeiten hat sich damit stetig erweitert. Ein markanter Schritt des Wandels fand schließlich 1994 statt. Das ‚International Advertising Film Festival‘ wurde in ‚International Advertising Festival‘ umgetauft. Der ‚Film‘ wurde aus dem Namen gestrichen, um der facettenreichen Medienlandschaft besser gerecht zu werden. Mittlerweile nennt sich Cannes das ‚International Festival of Creativity“ und denkt größer und weiter als je zuvor. Bei der diesjährigen Ausgabe wurden sagenhafte 29.074 Arbeiten aus 90 Ländern eingereicht – und diese werden inzwischen in 28 Löwen-Kategorien prämiert.
Seit einigen Jahren können wir – nahezu über alle Kategorien hinweg – einen Wandel in der Kommunikation beobachten: Purpose ist hoch im Kurs. Marken aller Kategorien und Couleurs sprechen nicht mehr ausschließlich von sich selbst, ihren Produkten und Services. Sie erzählen stattdessen Geschichten vom tieferen Sinn. Für die Gesellschaft. Für den Planeten. Sie geben sich dabei selbst eine Rolle, die über Profit alleine hinaus geht. Diese ‚purpose-driven‘ Kommunikation ist mal ernsthafter und überzeugender, mal oberflächlicher und unglaubwürdiger. Aber der Trend ist deutlich erkennbar – und hat sich auch 2021 bei Cannes fortgesetzt und zuweilen sogar verstärkt. Zahlreiche Beiträge greifen große und bewegende Themen auf, die den gesellschaftlichen Wandel in den Mittelpunkt rücken.
In diesem Jahr hat das Festival nun die Kategorie ‚Creative Business Transformation Lions‘ eingeführt. Die neue Löwen-Kategorie soll Arbeiten prämieren, die ‚celebrate the creativity that drives businesses forward – creative thinking that changes how businesses organise themselves, how people work and how customers engage with them‘. Eine Kategorie, bei der man fast schon geneigt ist zu fragen: Warum erst jetzt? Ein Löwe, der längst überfällig war. Und vermutlich ein Löwe, dessen Bedeutung in den kommenden Jahren steigen wird. Der erste Grand Prix Preisträger in dieser neuen Kategorie ist der französische Handelsriese Carrefour mit ‚Black Supermarket‘, entwickelt von Marcel Paris. Eine großartige Idee, die zeigt, wie business-transformierend Kreativität sein kann.
Aber es geht inzwischen um weit mehr als Business und Profit. Kreativität kann mehr, Kreativität muss mehr. Das Cannes Festival hat dafür eigens die Kategorie ‘Good’ etabliert – für Ideen, die ‚going beyond brand purpose to use creative communications to shift culture, create change and positively impact the world’ stehen. Es geht um kreative Ideen, die einen echten Impact auf unsere Gesellschaft haben. Ideen, die die Welt verändern. Beeindruckende Beispiele gibt es dafür längst genug. Diesjährige Cannes-Gewinner wie ‚The Uncensored Library‘ von DDB Berlin für Reporter ohne Grenzen, ‚Meltdown Flags‘ von Serviceplan München für Meter oder ‚Courage is Beautiful‘ von Ogilvy UK/Canada für Dove sind allesamt Cases, die über bloße Brand Purpose Kommunikation längst hinaus gehen. Sie sind vielmehr ein Sinnbild für Kreativität, die die Kraft besitzt, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Oder mindestens einen solchen Anspruch zu formulieren. Übrigens: alle drei Genannten sind Cases, die zwar viele Löwen eingeheimst haben, in der Kategorie ‚Good‘ jedoch anderen den Vortritt lassen mussten. Prämiert wurden hier, neben vielen Weiteren, herausragende Arbeiten wie ‚I am‘ zum Thema Gender Identity von VMLY&R Sao Paulo für Starbucks (Grand Prix in Glass: The Lion for Change), ‚The 2030 Calculator‘ für Doconomy (Grand Prix in Sustainable Development Goals Lion) oder ‚#StillSpeakingUpDeepTruth‘ von Publicis Mexico/Latvia für Reporter ohne Grenzen (Grand Prix for Good).
All diese Arbeiten zeigen eindrucksvoll: Kreativität hat die Kraft unsere Welt zu verändern. Und zwar zum Besseren. In diesem Sinne: Creativity Unlimited.
Bild: Unsplash