Totally fucked – Who needs Marketing Departments?

Von Tanja Freudenthaler

 

Der Druck ist hoch. Eine der Ersten zu sein mit seinem Blogbeitrag bedeutet auch nur wenige Eindrücke erhascht zu haben. Klar möchte man etwas Sinnvolles schreiben, etwas mit Mehrwert. Inspiriert und begeistert. So der Plan und mein ganz persönliches Briefing. „Think big, do something relevant and inspire“ –  wie man hier in Cannes überall hört. Ein bisschen erinnert mich die Situation an meinen Job. Zu Beginn einer Aufgabenstellung fühlt es sich so ähnlich an. Man sitzt vor dem leeren Blatt – zumindest geht es mir so – hat alle Möglichkeiten und weiß dennoch nicht, wo man anfangen soll. Man irrt ziellos umher: Versucht den richtigen Weg zu finden. Noch ohne Plan.

In meinem Fall heute streife ich von großen zu kleinen Stages, von Talks zu Workshops, mal größer mal kleiner. Im Arbeitsalltag wohl eher durch Blogs, Bücher und Magazine. Warte auf DIE Idee.

Und dann überrascht sie einen, wenn man sie wohl am wenigsten erwartet. Der erlösende Gedanke, der einen vom Hundertsten ins Tausendsten trägt. Dieses gute Gefühl, das sich ausbreitet und zum Flow wird. Etwas erschaffen lässt, was andere hoffentlich fesselt. Sicherlich gibt es nicht nur den einen Weg, aber meinen, den ich – zumindest zu diesem Zeitpunkt – für den Richtigen halte und wie eine Löwin verteidige.

Doch diese Idee heißt es zu „challengen“. Projektmanager, Accounter, Creative Director, Marketing Direktor, Product Owner und unsere eigenen Selbstzweifel sorgen schon dafür, dass wir uns auch wirklich nicht mit dem Erstbesten zufriedengeben – das ist auch gut so! Aber würde es auch anders gehen?

Was passiert, wenn wir „Brand Awareness Studies, Zielgruppenanalyse, Schulterblicke, Konzeptpräsentationen, Feedbacks, zweite Präsentation, Testings, Freigaben, finale Präsentationen mit der Geschäftsleitung, oh scheiße wir müssen den ganzen Prozess neu starten“ einfach weglassen? Alles ausschalten, was Kreativität blockiert.

Martin Ringqvist und John Schoolcraft, beide Creative Directors aus Schweden, haben es ausprobiert. Unter dem provokanten Titel „Marketing Departments – Who needs them?“ stellen sie so ziemlich alles infrage, was wir im Agenturalltag lieb gewonnen haben. Mit Oatly, der „Ersatz“-Milch, die aktuell nicht nur den Baristas in Berlin aus den Händen gerissen wird, treiben sie wohl jedem Marketeer die Schweißperlen auf die Stirn. Mehrfach ausverkauft und das ganz ohne, dass jemand eine wirklich herausragende Idee in unzähligen Prozessen auf ein konsensfähiges Mittelmaß einstampft.

Hippes Design – klar kommt ja aus Schweden – und natürlich nachhaltig. Zeitgeist eben. Die Gestaltung ist schön, keine Frage, aber was mich wirklich begeistert, ist die Art der Kommunikation. Offen, direkt und ehrlich, unkonventionell. Mit Herz und Hirn erschaffen die beiden über alle Touchpoints hinweg ein Erlebnis.

Die vielgepredigten Emotionen, wie beispielsweise von Ivy Ross, Vice President of Design bei Google, sind hier bravourös umgesetzt. Nicht nur aufwendig inszeniert, wie man es in Cannes so oft erlebt. „Design, that connects“. Nahbar und authentisch: Telefonnummern der CDs auf dem Packaging, Partnersuche für Mitarbeiter im Innenteil, ein Song über Hafermilch des CEOs, sind nur einige Beispiele. Aktionen, die garantiert bei konventionellen Prozessen bis an ihr Lebensende als Impuls im „alt-Ordner“ verkümmert wären.

Die Leidenschaft fürs Produkt und Liebe im Detail der beiden Schweden spürt man schon beim ersten Satz. Das Publikum hängt an ihren Lippen. Obwohl sie nicht die große Bühne bekommen, schaffen sie, dass niemand vor Ende geht. Hier sprechen keine Creative Directors x-beliebiger Produkte. Hier sprechen echte Fans. Passionierte Designer. Gestalter, Researcher, Umsetzer, Analysts, Texter in einem, die mich zum Fan machen, obwohl ich eigentlich Milch gar nicht mag!

Und nicht nur ich bin Fan, sondern täglich werden es mehr! Doch wie kommt man an solche Freiheiten? Freiheiten, die herausragende Ergebnisse fördern? Kunden, die einen einfach machen lassen – selbst briefen, designen verbessern?

Das Codewort heißt wohl Vertrauen. Dieses kurze Wort, das so mühsam erarbeitet werden muss. Wie oft sind schon geniale Ideen gescheitert – an Misstrauen, Distanz und Fehlkommunikation? Eine Durststrecke, die wehtut. Doch hat man den Kunden einmal für sich gewonnen, lässt sich die Verbindung wie Kaugummi ziehen. Ein Privileg, das einem unzählige Freiheiten gibt.

Dieses Privileg hatten auch Martin und John. Bei Oatly arbeiteten sie mit ihrem Kumpel Toni zusammen. Ein CEOs, der maßgeblich für den genialen Output und schnellen Aufstieg der Marke verantwortlich ist. Warum? Ganz einfach: Weil er Platz macht für Kreativität, weil er gestalten lässt statt nur anzumalen. Weil er die Power nutzt und sie nicht behindern. Weil er vertraut.

Warum erzähle ich das alles hier? Ganz einfach: Traut den Kreativen mehr zu! Wir müssen nicht alle Prozesse abschaffen, vielleicht fangen wir einfach mal mit den Unsinnigen an? Wir müssen nicht bei allem dabei sein, aber vielleicht früher? Wir müssen nicht überall etwas zu sagen haben, aber gehört und ernst genommen werden! Kreativität ist ein Wettbewerbsvorteil. Oatly ist das beste Beispiel. Nutzt ihn!