Warum Cannes nicht Castrop-Rauxel sein kann

Von Holger Oehrlich – Wenn man hier an der Croisette entlang schlendert fragt man sich doch,
warum das ganze nicht auch in Castrop-Rauxel sein kann. Oder Bad Cannstatt.
Es könnte auch jede andere Stadt in Deutschland sein, nicht dass wir uns hier missverstehen. Die Geschichte aber wäre doch eine andere, wenn das bedeutendste Werbefestival nicht in Cannes wäre, direkt am Meer, mit diesem unwiderstehlichen französischen Flair… Hier isst man eben leckere Austern, anstelle der roten Bockwurst und trinkt Rosé, anstelle von Bier. Ich muss sagen, die Franzosen kleiden sich einfach mit Stil, zu Hause mag man es auch einfach, aber eben ohne Stil.
Hier ist es eher Chanel als die praktische, atmungsaktive High-Tech-Sportsandale.
Und irgendwie kommt einem das ja auch ungeheuer vor. Denn hier feiert sich die Werbebranche – und wird in den Himmel gehoben.
Wie Hollywood. Nur eben für Werber. Selbstbewusst. Klopft sich auf die eigene Schulter. Und feiert, eine ganze Woche lang.
So ganz im Gegensatz zum schwäbischen Understatement, dass doch sagt „Nicht geschimpft, ist genug gelobt.“

Und ich möchte ihnen sagen, ich hasse diesen Satz. Weil man sich damit kleinmacht. Und auch ein wenig kleingeistig und lebensunlustig.
Nicht dass ich Understatement nicht schätze. Aber einmal im Jahr ist es schön, wenn die Werbeindustrie auf sich aufmerksam macht, ein Ausrufezeichen setzt,
tausende Kreative aus der ganzen Welt anzieht, die besten Arbeiten prämiert und im internationalen Austausch steht.

Direkt an der Croisette. Mitten im Glamour. Bei strahlendem Wetter. Bei Austern, Schampus und dem ganzen Quatsch. Das ist mal eine Ansage.
Pakt Pauken und Trompeten aus. Denn wenn die Werbeindustrie sich nicht selbst mit breiter Brust feiert und stolz auf ihre Arbeit ist, wer sollte es sonst sein, wenn nicht einmal die Macher selbst.
Hier wird nicht billige, aggressive Reklame gezeigt, vor derer man sich schützen will, wenn man die „Keine Werbung“-Aufkleber auf den Briefkasten drückt.
In Cannes zeigt sich wie unterhaltsam, clever, effektiv und emotional Werbung sein kann. Und sein muss. Es geht nicht darum mit Jahrmarktsschreierei Infos in die Welt zu posaunen. Sondern Kommunikation so zu betreiben, wie man
selbst gerne angesprochen werden möchte. Mit Charme, zum lachen und intelligent.
Ein leergeräumter Supermarkt, der einem aufzeigt, wie die Welt weniger international aussehen würde und damit ein Zeichen gegen Rassismus setzt. Sneaker, die zum hippen Bahn-Jahresticket werden, Commercials, die eher an Kinofilme erinnern und kreative Highlights im 30-Sekundenformat sind. Danke dafür. An die kreativen Macher und die mutigen Kunden, die diese Arbeit möglich gemacht haben.

Dafür lohnt sich dieser Weg nach Cannes. Um die beste Werbung des letzten Jahres zu sehen und zu feiern. Und das an einem der schönsten Plätze der Welt.
Und eben nicht in einer Multifunktionshalle mit einer Bockwurst in der Hand, direkt neben der Kleintierzüchter-Hasenaustellung. Denn wenn die beste Werbung der Welt hier einmal angelangt ist, dann bleibt sie dort auch und soll auch dort bleiben, weil sie ihre Relevanz verloren hat.
Da darf das schwäbische Understatement einfach einmal zu Hause bleiben und die Klappe halten. Das kommt nächste Woche wieder von ganz allein.

Jetzt geht es zum nächsten Vortrag. Von einem berühmten Werber, der einem von einem spannenden Projekt erzählt. Und Grund ist, warum man diesen Job
selbst mal machen wollte. Auf dem Weg noch schnell ne Kugel Eis für drei Euro? Das ist nicht teuer. Eigentlich ist das sogar günstig. Denn der Flair von Cannes ist dabei inklusive. Bockwurst ist dann wieder morgen.